Mittwoch, 2. Dezember 2015

Wenn einen die Vergangenheit einholt

Achtung: jetzt folgt ganz viel Seelenmüll. Wer derzeit keine negativen Gedanken lesen möchte, verlässt am besten direkt wieder diesen Blog und schaut wieder in sonnigeren Zeiten vorbei (die es ganz bestimmt und bald wieder geben wird).

Ich habe keine gute Kindheit gehabt. Eine psychisch kranke Mutter (manisch-depressiv), die einen psychisch kranken Vater hatte (schizophren) und damit bis heute nicht klar kommt.
Ein Vater, dessen Mutter bereits in der Kindheit starb und der damit nie zurecht gekommen ist. Ein Vater, der mit der Krankheit meiner Mutter nicht klar kommt, aber trotzdem bei ihr bleibt - bis heute.

Weder meine Schwester noch ich waren geplant. Sie war ein Unfall, und ich hätte - laut Frauenarzt meiner Mutter - eigentlich gar nicht mehr gezeugt werden können. So wirklich gewollt waren wir nie. Meine Mutter war nie in der Lage mich wirklich zu lieben. Hat mich nie in den Arm nehmen können. Mir nie gesagt, dass sie mich liebt, an mich glaubt, mir Dinge zutraut. Mein Vater stand ständig in Konkurrenz zu mir, hat mich immer schlecht gemacht, weil er alles besser konnte. Ich war nie schlank - im Gegensatz zu meinen Eltern und meiner Schwester. Aber ich war auch niemals dick. Und ganz bestimmt nicht pummelig. Wenn ich heute Fotos von mir als Kind sehe, sehe ich ein schlankes und sehr hübsches Mädchen. Maximal 2-3 Kilo zu viel - aber definitiv nicht der Rede wert. Meine Familie sah das aber anders, auch meine Großeltern und meine Tanten und Onkeln. Ich sei dick, sagten sie mir immer. Ein hübsches Gesicht hätte ich, aber zu viel auf den Rippen. Ich habe mich immer geschämt. Die Sommerurlaube am Strand waren das Schlimmste überhaupt, weil ich da ja im Badeanzug herumlaufen musste. Begutachtet von den kritischen Blicken meiner Familie. Ich habe meinen Körper sehr gehasst, so sehr gehasst. Dann kam noch hinzu, dass ich nicht so gut in der Schule war. Ich war einfach durch und durch ein schwieriges Kind - das schwarze Schaf in der Familie, um das sich meine Eltern immer Sorgen machen mussten. Ich war kein selbstbewusstes Mädchen - alles andere als das. Freunde durfte ich nie zu mir einladen, weil meine Mutter Angst hatte, dass meine Freunde darüber lästern könnten wie wir leben. Auch Kindergeburtstage durfte ich nicht feiern. Und dennoch - ich hatte immer sehr viele Freunde und war beliebt. Trotz alledem. So ein mieser Mensch kann ich nicht gewesen sein.

Ich habe das viele Jahre nicht verstanden. Was das alles mit mir macht. Dass das alles eine Auswirkung hat. Als ich 14 Jahre alt war, habe ich dann aufgehört zu essen. Es fühlte sich so gut an endlich schlank zu sein und unter 40 Kilo zu wiegen - in kürzester Zeit ganze 27 Kilo weniger. Buoh - da hatte ich wirklich was geschafft! Ich hatte endlich was, was ich kontrollieren konnte und was ich wirklich gut konnte. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich richtig gut fühlte. Frei. Auch ich konnte was. Ich war nicht in ganzer Linie ein Versager. Das Hochgefühl wechselte immer häufiger in depressive Phasen. Ich wünschte mir immer öfters mich in Luft aufzulösen. Nicht mehr da zu sein. Und ich hatte das ganz alleine in der Hand. Ich alleine konnte entscheiden, wann ich diesem Leben ein Ende setzen konnte. Aber da war immer wieder ein kleiner Funke Lebenswille. Ich weiß nicht was mich am Leben gehalten hat, aber da gab es damals was.

Meine Eltern sperrten mich immer öfters mit einem Teller voller Essen in meinem Zimmer ein und wollten mich erst herauslassen, wenn ich gegessen hätte. Aber diesen Gefallen tat ich ihnen nicht. Ich habe in meinem Zimmer geschrien, dass ich selber entscheide wann ich esse. Dass ich selber am besten wüsste, ob ich Hunger habe. Und ich hatte einfach keinen Hunger - ganz im Gegenteil. Ich war pappsatt. Ich war übersättigt. 

Sie redeten nicht mit mir darüber, nahmen mich nicht in den Arm, sagten mir nicht, dass sie mich lieben. Nein, sie sperrten mich stattdessen ein. Meine Mutter nahm meine Krankheit jedoch zum Anlass sich selbst mal wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Wie schwer sie es doch mit einer magersüchtigen Tochter hat. Sie erzählte das auf Familienfeiern, in ihrem Freundeskreis während ich daneben saß. Aber mit mir redete sie nicht. Mit mir redete niemand.

Ich hätte damals eine Therapie machen müssen. Aber meine Eltern waren nicht in der Lage sich darum zu kümmern oder kamen nicht auf die Idee - ich weiß es nicht. Ich kam dann irgendwann selber wieder oberflächlich da raus - ca. 2 Jahre später. Ich habe angefangen viele Bücher über diese Krankheit zu lesen. Erkannte mich selbst wieder und meinte, dass ich mich selber therapieren könnte. Zumindest wog ich wieder knapp 50 Kilo. Für alle Außenstehenden war ich scheinbar wieder gesund. Aber eigentlich dauerte es 14 Jahre bis ich wieder ganz normal und ohne schlechtes Gewissen essen konnte und ich meinen Körper wieder einigermaßen akzeptierte. Ganz weg ist das alte Gedankengut nicht. Aber ich habe es im Griff. Nichts desto trotz ist "Essen" weiterhin mein Seelenventil.

Dieses Paket namens "nicht verarbeitete Lebensgeschichte" verfolgt mich bis heute und macht mir das Leben heute schwerer denn je. Es ist gerade so präsent und es kommt immer wieder hoch. Und ich weiß, dass die fehlende Therapie dieses Lebensabschnitts mir derzeit das Leben zur Hölle macht. Mich gerade unglücklich macht, weil ich gerade keine Handlungsoptionen sehe. 

Die beiden Eileiterschwangerschaften und der aktuelle Kinderwunschweg führen mich an meine Belastungsgrenzen. Diese Dinge haben etwas in mir ausgelöst, irgendwelche alten Wunden aufgerissen. Ich bin seit diesen Ereignissen nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor. Mir fehlt die Kraft mich mit Dingen auseinanderzusetzen, mich mit schwierigen Menschen auseinanderzusetzen. Ich würde mich am liebsten zwei Monate lang in meiner Wohnung verbarrikadieren und nicht mehr rausgehen. Einfach nur lesen, Tee trinken, gute Dinge essen, mit meinem Lieblingsmann und meinem Lieblingshund kuscheln und den Rest der Welt für diesen Zeitraum ausblenden. Ich bilde mir ein, dass ich dadurch wieder genug Energie tanken werde, um danach wieder stark genug für die Welt zu sein. Dass ich all den Mist auf dieser Welt wieder mit einem Lächeln entgegen treten kann. 

Wo ist diese verdammte Leichtigkeit geblieben, die ich so lange in mir hatte? Wo ist sie hin und wo und wann habe ich sie verdammt noch mal verloren? Haben meine beiden Sternenkinder sie direkt mit zu den Sternen genommen? Ich möchte sie wieder zurück haben, diese Leichtigkeit, diese Unbeschwertheit. Aber wie schaffe ich das? Ich habe nach langer Zeit überhaupt keine Idee für eine Lösung. Ich stecke gerade in einer Sackgasse, in einem dunklen Raum ohne Türen und Lichtschalter. Wie komme ich da wieder raus? Ich weiß es nicht. 

Meine Blog ist meine Therapie - es tut mir leid, dass ich euch mit meinem Seelenmüll konfrontiere. Aber das muss einfach raus. Ich melde mich garantiert mit positiveren Gedanken wieder zurück. Versprochen!

6 Kommentare:

  1. Liebe Lisa,
    du bist eine starke Frau! Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen wie es dir als Kind/junge Frau ergangen ist, aber ich bewundere deine Stärke.
    Lass den Seelemüll raus, lad ihn ab, schreib darüber. Dafür ist dein Blog doch da. Wenn es dir dann auch nur ein bisschen besser geht, hat es sich gelohnt.
    Ich glaube nicht, dass man nach solchen Erfahrungen wie du sie jetzt gerade machst, je wieder die gleiche ist. Die Leichtigkeit von "vorher" habe ich nie mehr gefunden... Aber man kommt verändert und irgendwie gestärkt da raus. Du kämpfst gerade wie eine Löwin (und das ja bei weitem nicht das erste Mal in deinem Leben!) und diese Kräfte werden bleiben - auch wenn du gerade meinst zu erschöpft für alles zu sein.
    Und dann: tu dir was Gutes, tanke Kraft bei Lieblingsmann & -hund und hör auf deine innere Stimme. Sie wird dir den Weg aus der Dunkelheit weisen.
    Und während du den Ausgang suchst, den du ganz sicher finden wirst, setze ich mich zu dir und halte eine Kerze.
    Du bist nicht allein in der Dunkelheit!
    Alles Liebe,
    Christina

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  2. Liebe Lisa, es tut mir von ganzem Herzen leid, dass Du den Großteil Deines Lebens eine so schwer Zeit hattest. Meinst Du nicht, dass Du auch jetzt noch eine Therapie machen könntest??? Ich finde nichts daran ist verwerflich!! Wenn man eine starke Grippe hat, geht man zum Arzt. Wenn das Knie kaputt ist, geht man zum Arzt. Aber wenn die Seele kaputt ist??? Auch dafür gibt es Ärzte, quäl Dich nicht so alleine mit Dir und vor allem gib Dir nicht die Schuld an Eurer Situation!! Ich wünsche Dir viel Kraft - von ganzem Herzen!!!♥♥♥

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  3. Liebe Lisa,

    ich kann dich sehr sehr gut verstehen!

    Meine Kindheit war ähnlich geprägt, eine Mutter die psychisch völlig auffällig war und ist. Dazu Gewalterfahrungen, Wutausbrüche und die Erfahrung von Geborgenheit und Angenommensein fehlt uns völlig- emotinale Entbehrung nennt man das in der Psychologie. Meine Mutter dreht es ich bis heute in ihrer Welt so, das sie gut dabei wegkommt.

    Ich möchte dich ermutigen, mache heute eine Therapie, wenn es sich für dich gut anfühlt und dazu bereit bist Ich habe eine Therapie begonnen und sie hat sovieles zum Guten verändert und manches hat sie zugegeben anstrengender gemacht, ich kann mich nicht mehr so gut verstellen, nicht mehr so sovieles einfach nur ertragen...für meine Seele die größte Herausforderung, nicht einfach nur zu ertragen sondern aufzustehen und für mich gerade zu stehen.

    Ja, essen ist und war mein Ventil und auch ich war nie dick und bekam es eingeredet. Erst habe ich gehungert, dann habe ich gegessen und bis heute taucht dieser Dämon immer und immer wieder auf, dann wenn es schwierig wird, dann wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, dann wenn ich keinen Ausweg sehe...wenn der Frust mich fast ersticken lässt. Jetzt kommt das große "Aber" ;-) in der Therapie habe ich gelernt das anzunehmen, es dauert keine Wochen mehr, es dauert manchmal nur einen Tag und manchmal drei, insgesamt immer nur eine Woche und dann fange ich mich wieder.

    Dein Erschöpfungsgefühl kann ich gut verstehen, auch da geht es mir ähnlich, Rolladen runter und einfach abschalten, was uns daran hindert? Wenn wir eines gelernt haben, dann überleben, oben bleiben und ich beobachte an mir, wenn ich etwas nicht kann das ist aufgeben, ich mache weiter und weiter...übergehe meine Erschöpfung bis zum Nullpunkt, dann kommt die Panikattacke mit ihrer übermächtigen Angst, die den psychischen Overload beendet, gerade geht es in der Therapie darum den Punkt vorher zu finden, den Punkt an dem meine Seele mir das Signal gibt "es reicht" und ich es wahrnehme.

    Es ist viel Arbeit, es lohnt sich und es tut weh und irgendwann wenn man sich durchgeschaufelt hat, dann kommt sie wieder die "Leichtigkeit" manchmal fühlt sie sich an wie früher und manchmal so ganz anders.

    Liebe Lisa, du bist okay, ich bin okay, wir sind okay und alles jetzt gerade in diesem Moment gut!

    Ich drücke dich, setzte mich zu dir und wir trinken virtuell miteinander Tee, wenn du magst!

    Liebe Grüße,

    Romanleserin

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  4. Liebe Lisa, ich bin total erschüttert von Deinem Bericht. Wie kann man einem Kind, seinem Kind, nur solche Seelenschmerzen zufügen?
    Mich wundert es auch nicht, dass die derzeitige Situation die alten Wunden wieder aufreisst, Du Dich ausgebrannt und erschöpft fühlst. Was hast Du in Deinem Leben schon kämpfen müssen :(
    Ich weiß nicht, bzw. ich kann Dir nicht raten wie der beste Weg für Dich aussieht. Therapie oder nicht? Aber eines kann ich Dir mitgeben: hier ist genau der richtige Ort diese Last niederzuschreiben, andere teilhaben zu lassen. Ich kenne Dich nur aus dem VL, aber für mich bist Du ein wunderschöner Mensch. Ich möchte Dich gerne in den Arm nehmen, Dir sagen dass Du schön und gut bist, einfach genau richtig bist. Dir das spenden was Dir nicht gegeben wurde, auch wenn ich das wahrscheinlich nicht erreichen werde.
    Wir sind für Dich da <3

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  5. Liebe lisa, es tut mir sehr sehr leid was du alles mitmachen musstest und eine so schwere zeit hattest. Ich denke, dass es für eine therapie nie zu spät ist. Ich kenne es von mir selbst, dass gerade jetzt während der langen kiwuzeit viele negative dinge aus meiner vergangenheit wieder hochkommen die man jahrelang verdrängt hat und doppelt belasten. Mein erster termin beim psychologen ist nächste woche. Wir müssen uns nicht schämen...

    Ach liebes, ich drück dich feste und denk an dich ♥

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  6. Lisalein, deine Geschichte bewegt mich wirklich sehr und ich weiß gar nicht so richtig, was ich dir dazu schreiben kann. Gerne würde ich dich etwas aufmuntern, noch viel lieber trösten oder gar ein heilendes Pflaster auf deine tiefen Wunden kleben und dir damit beim Heilungsprozess helfen. Ich kenne dich ja eigentlich gar nicht, aber ich weiß WIE du WAS schreibst. Und da lese ich jedes Mal eine sehr kluge und liebevolle Frau. Eine Frau, die von innen her sehr schön ist. Die so wie sie ist mit Sicherheit wahnsinnig liebenswert erscheint. Und weißt du was? Genau DAS zählt. Manchmal muss man sich von altem, belastendem Zeug oder auch Menschen bewusst trennen. Wenn dir jemand nicht gut tut, noch jetzt sogar eher bewirkt, dass du dich arg schlecht fühlst, dann ist es vielleicht besser den Kontakt zu meiden? Es klingt hart, aber niemand sollte ein Leben lang für die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen bezahlen. Bitte fühle dich feste in den Arm genommen.

    ❤️❤️❤️

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