Dienstag, 29. Dezember 2015

3-2-1...LOS

Jetzt sind es nur noch drei Tage, dann beginnt unsere zweite und hoffentlich letzte ICSI. Pünktlich zum 1. Januar beginnen wir mit der ersten Stimulations-Spritze. Na, wenn das mal kein einzigartiger Start ins neue Jahr ist?

Ich bin derzeit inmitten meines Weihnachtsurlaubs. Seit dem 17.12. habe ich bereits Urlaub und der ist noch gaaaanz lange nicht vorbei. Das Ende ist erst in der zweiten Januar-Woche in Sicht :-). Und ich bin so etwas von tiefenentspannt - das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Es war absolut die richtige Entscheidung die Behandlung genau zu diesem Zeitpunkt anzufangen. Hin und wieder hatten wir tatsächlich überlegt, ob wir die Behandlung tatsächlichen zwischen Feiertagen und mitten im Urlaub starten wollen. Ob das so eine gute Idee ist. Aber nein, gerade fühlt es sich genau richtig an. Mir geht es nach den unendlich vielen Wochen mit Migräne zurzeit richtig gut. Zudem vertrage ich die Pille diesmal auch deutlich besser als das letzte Mal.

Was habe ich in diesem Vorzyklus anders gemacht als das letzte Mal?

Punkt 1: Kein Stress!
Urlaub zu Hause gegönnt und nur schöne Dinge gemacht (lange geschlafen, 3 lange Spaziergänge mit dem Hund, gut gegessen, viel gebacken und gekocht, gelesen, schöne Filme und Serien angeschaut, mit Freunden und Familie getroffen)

Punkt 2: L-Thyroxin und die Pille mit großen zeitlichen Abstand eingenommen.
In Hashimoto-Foren habe ich gelesen, dass man das L-Thyroxin und die Pille möglichst mit großem Zeitabstand einnehmen soll. Und genau das habe ich dieses Mal auch getan: morgens früh nach dem Aufstehen das L-Thyroxin und Abends gegen 19h die Pille.

Punkt 3: L-Thyroxin-Dosis erhöht
Zudem habe eigenständig entschieden die L-Thyroxin-Dosis zu erhöhen und dies obwohl meine KIWU-Ärztin meinte, dass dies nicht notwendig sei. Wobei sie bestätigt hat, dass man L-Thyroxin bei regelmäßiger Pilleneinnahme erhöhen muss. Auf seriösen KIWU-Seiten habe ich allerdings auch Beiträge von Ärzten gelesen, dass eine höhere Dosierung von bis zu 25 Einheiten den Gesundheitszustand des Patienten verbessert. Ich habe meine Dosis nun von 50 Einheiten auf ca. 68 Einheiten erhöht. Und ganz ehrlich? Mir geht es deutlich besser.

Punkt 4: Vitamine
Ich habe dieses Mal eine große Anzahl an Zusatzvitaminen zu mir genommen (Orthomol natal, Ferro Sanol Duodenal, Folio jodfrei, Omega 3 Kapseln).

Keine Ahnung welcher dieser vier Punkte meinen Zustand so überdurchschnittlich verbessert - vielleicht ist es auch die Kombination aus allen - aber mir geht es gerade richtig, richtig gut. Kein Dauermüdigkeits-Zustand mehr, keine Kopfschmerzen, keine Stimmungsschwankungen, keine Heulattacken, keine Ängste.

Es gibt allerdings noch einen Punkt, den ich in der obigen Auflistung vergessen und bei dem ich mir vorgenommen habe, ihn über die komplette zweite Behandlung nicht zu verwerfen oder außer Acht zu lassen...

Punkt 5: Zuversicht
Dieses Mal werde ich nur positiv an diese Behandlung herangehen. Ich werde nicht gleichzeitig die ganze Zeit die Notbremse ziehen aus der puren Angst heraus ein Negativ zu kassieren. Ich werde diese Angst dieses Mal nicht mehr zulassen, keinen einzigen negativen Gedanken. Denn schließlich mache ich diese Behandlung nur aus einem einzigen Grund: weil da ein Funken Hoffnung besteht, dass wir auf diesem Wege ein Kind bekommen können. Hoffnung bedeutet Zuversicht zu haben, dass es tatsächlich klappen kann. Wenn ich von vornherein negativ an die Behandlung dran gehe, kann ich es eigentlich auch direkt sein lassen. Oder nicht?

Und dann habe ich mir noch etwas ganz feste vorgenommen: ich werde mich selbst nicht verrückt machen, indem ich versuche jedes Symptom zu interpretieren. Ich habe es bereits nach dem letzten Negativ geschrieben... Aber das gute an einer zweiten Behandlung ist, dass man bereits eine Behandlung hinter sich gebracht hat und weiß was auf einen zukommt. Ich bin ein Kontrollfreak und komme schwer in völlig neuen Situationen zurecht. Das Wissen um die Behandlung, die Medikamente und alle die Symptome der Medikamente entspannt mich nun ungemein. Ich weiß nun, dass das Progesteron echte Schwangerschaftssymptome hervorruft und ich mir daher solange keine Hoffnungen zu machen brauche, bis ich das Blutergebnis habe.

Am Ende des letzten Jahres war ich froh, dass es endlich vorbei war. Das Jahr 2014 hatte mir zwei Sternenkinder beschert. Das aktuelle Jahr 2015 ist also schon einmal definitiv besser gewesen als 2014, weil wir diesmal kein weiteres Kind haben gehen lassen müssen. Auch, wenn die erste ICSI negativ verlaufen ist, so war 2015 insgesamt kein schlechtes Jahr. Schließlich haben mein Lieblingsmann und ich in 2015 geheiratet. Allein schon deshalb war es ein wundervolles Jahr. Und dann sind in 2015 natürlich auch noch viele andere schöne Dinge geschehen. Natürlich auch nicht so schöne Dinge, aber diesen Dingen möchte ich alles andere als viel Gewicht geben.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr. Auf das 2016 uns all unsere Wünsche erfüllt. Zudem grüße ich noch meine beiden Sternenkinder, die mich in 2015 jeden Tag begleitet haben und auf meine kleine Familie aufgepasst haben.

Alles Liebe - wir lesen uns wieder in 2016

P.S.: Seit einigen Jahren lese ich übrigens fast täglich den wunderbaren Lebens-Blog von Frau Landgeflüster. Eine wahre Perle im Blogger-Universum (dieser Blog hat nix mit KIWU zu tun). Wer einen ganz unaufgeregten und nicht gesponserten Blog über die tägliche Schönheit des Lebens lesen möchte, dem kann ich die Zeilen von Frau Landgeflüster nur empfehlen. Es ist jeden Tag eine wahre Wohltat für mich, ihren Blog zu lesen und mich wieder daran zu erinnern, dass man sich auch an den Kleinigkeiten des Lebens sehr erfreuen kann.

Mittwoch, 9. Dezember 2015

Johnny du hast recht - man sollte immer auf seinen eigenen Tanzbereich aufpassen!

Ich bedanke mich auf diesem Wege erst einmal vielmals für eure wirklich hilfreichen Kommentare zu meinem letzten Post. Sie haben mich zum Nachdenken gebracht und in der Tat auch geholfen.

Heute geht es mir zum Glück wieder sehr gut. Ich war letzte Woche beruflich in einer anderen Stadt unterwegs. Hingeflogen bin ich mit der Air Berlin, bei der vor Abflug auch immer kostenlose Zeitschriften verteilt werden. Als ich ins Flugzeug stieg, war nur noch die Zeitschrift Myway übrig, die eigentlich für Frauen ab den Wechseljahren gedacht ist. Nichts desto trotz stieß ich in der Zeitschrift auf mehrere Artikel, die irgendwas zum Positiven in mir bewegt haben. Ein Artikel handelte u. a. auch davon, dass man negativen Gedanken und Gefühlen nicht so viel Raum geben darf. Denn dann werden sie übermächtig und überschatten auch all die Guten Dinge im Leben. Ebenso ist es zwar richtig die schlimmen Dinge aus der Vergangen zu bearbeiten, aber man soll versuchen sie nicht als etwas nur Negatives wahrzunehmen, sondern stattdessen ein Fazit daraus ziehen. Welche Erkenntnis ziehe ich aus den Dingen in der Vergangenheit? Und wie schaffe ich es mit diesem Wissen Dinge in der Zukunft anders und besser zu gestalten? Letztendlich erklärt unsere Biografie, warum wir heute so sind wie wir sind und so handeln wie wir handeln. Niemand kann seine Biografie aus der Vergangenheit ändern. Aber jeder kann aus seiner vergangenen Biografie lernen und versuchen die zukünftige Biografie zu lenken - denn diese ist keinesfalls in Stein gemeißelt. Sie ist formbar - nicht in jeder Hinsicht. Aber ich habe die Macht zu beurteilen, wie ich mein Jetzt und Morgen wahrnehme.

Mein Kinderwunschweg ist holprig. Er stellt eine echte Lebenskrise dar. Und es ist völlig normal, dass das eine belastende und durchaus stressende Situation für mich und meinen Lieblingsmann ist. Erinnert ihr euch noch an die Szene aus "Dirty Dancing", in der Johnny seiner Baby erklärt, dass jeder seinen eigenen Tanzbereich hat und der andere dort nicht eindringen darf?
Mir ist aufgefallen, dass ich mit dem Negativ meinen Tanzbereich aufgegeben habe und alle negativen Dinge & Personen in meinen Tanzbereich habe eindringen lassen. Die negative Kinderwunschbehandlung, meine nicht-netten Kollegen, meinen Job, meine Vergangenheit... Ich bin in meinem eigenen Tanzbereich in die Knie gegangen, habe mich ganz klein gemacht und meine Arme versucht schützend über mich zu halten. In der Hoffnung, dass ich dadurch ganz unauffällig werde. Stattdessen hat das Negative jedoch angefangen über mich herzufallen und mich noch weiter in die Ecke gedrängt und mich angefangen zu treten.

Ich habe mich so gefühlt, als wenn ich ständig versuchen würde geradeaus weiterzugehen. Stattdessen wurde ich aber durch eine Wand aufgehalten, bei der ich ständig abgeprallt bin. Aus irgendeinem naiven Grund bildete ich mir ein, durch diese Mauer laufen zu können. Stattdessen lief ich aber mit jedem neuen Versuch mit noch deutlicherer Wucht gegen die Mauer - nicht nur mit dem ganzen Körper, sondern auch mit dem Gesicht. Ich schlug mir die Zähne aus, brach mir die Nase und das Kinn und lief blutüberströmt immer weiter und immer wieder gegen die Mauer. Irgendwann bin ich zum Glück ohnmächtig zusammen gebrochen. Obwohl ich den Schmerz ignoriert habe, hat mein Körper instinktiv gehandelt und mich lahm gelegt.

Und jetzt einige Tage später, habe ich riesige Verbände am Körper. Aber ich stehe wieder, habe meine Arme ausgebreitet fülle meinen kompletten Tanzbereich aus und bin bereit den nächsten Tango zu tanzen. Zudem sehe ich, dass die Mauer gar nicht durchgehend ist, sondern man auf Umwegen auf die andere Seite des Weges kommt.

Was habe ich aus dem bisherigen Kinderwunschweg gelernt und was kann ich für die Zukunft besser machen?
Ich kann das Ergebnis des Kinderwunschweges nicht beeinflussen. Ob ich jemals ein Kind bekommen werde, liegt nicht in meiner Hand. Aber ich kann selber beeinflussen, wie ich diesen Weg bestreite. Kapsle ich mich ab und lebe in einem Schneckenhaus oder lebe ich mein Leben in vollen Zügen und vergesse/ignoriere die Härte des Kinderwunschweges. Ich habe für mich entschieden, dass mein Weg irgendwo dazwischen ist. Ich brauche für mich die Phasen, in denen ich mich auf mich allein konzentriere zurzeit mehr denn je. Aber ich benötige auch ebenso die Phasen, in denen ich nach draußen gehe, mich mit Freunden treffe und das Leben genieße. Ich kann im Moment nicht jede Weihnachtsfeier mitnehmen. Das schaffe ich nicht und das muss ich auch nicht. Aber ich werde auch nicht jede Feier absagen. Ich gehe nur zu den Feiern hin, wo ich wirklich Lust darauf habe und bei denen ich 100% weiß, dass sie mir gut tuen werden. Wichtig ist, dass ich den Kinderwunsch nicht so groß werden lasse und er meinen gesamten Tanzbereich einnimmt. Er ist ein wichtiger Bestandteil von mir und meines aktuellen Lebensabschnittes - aber eben nur ein Bestandteil. Auch andere Themen müssen Platz in meinem Leben finden. Der Kinderwunschweg ist zurzeit etwas größere als andere Themen - aber das ist auch ok. In jedem Lebensabschnitt gibt es ein Projekt, dass mehr Platz einnimmt als andere. Bis vor einigen Jahren war es mein Studium; nach dem Studium die Jobsuche etc. Diese Projekte dürfen nur nicht so viel Raum einnehmen, dass sie andere Projekte ersticken.

Was habe ich aus den Konflikten auf der Arbeit gelernt und was kann ich in Zukunft besser machen? Wenn ich mich klein mache, wirken meine Kollegen automatisch größer und können Macht auf mich ausüben. Ich muss meinen mir nicht so wohl gesonnen Kollegen, ebenbürtig gegenüber treten, damit sie sehen, dass ich genau so groß bin wie sie. Zudem konzentriere ich mich jetzt wieder lieber auf diejenigen Kollegen, die mir wirklich wohl gesonnen sind. Es gibt nur zwei Kolleginnen die mir nicht wohl gesonnen sind, aber im Gegenzug 40 Kollegen, die mir außerordentlich wohl gesonnen sind und mich wirklich mögen (nur leider in anderen Abteilungen sind). Ich muss mich also gar nicht klein machen! Es macht - so kurz vor der nächsten Behandlung - jetzt auch überhaupt keinen Sinn sich für einen anderen Job zu bewerben und sich noch mehr Stress anzutun. Das ist jetzt meine Entscheidung - wie lange ich mit dieser Entscheidung glücklich bin, entscheide ich. Ich habe das selber in der Hand! Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, um von diesem Ohnmachtsgefühl loszukommen, dass wir KiWu-Frauen doch Tag für Tag mit uns "herumschleppen".

Generell ist es für mich wichtig zu wissen, dass ich doch vieles selbst in der Hand habe. Ich habe so vieles in der Hand, und zwar:

  • wann ich die Behandlung durchführe
  • in welcher Klinik ich die Behandlung durchführe
  • bei welchem Arzt in der Klinik ich die Behandlung durchführe
  • ob ich mich während der Behandlung krankschreiben lasse (was ich tuen werde!)
  • wie viel Raum ich der Behandlung in meinem Leben gebe
  • ob ich bestimmte Themen überhaupt in meinen Tanzbereich lasse
  • wie viel Zeit ich mir nehme, um einen Weg zu bestreiten
  • wer überhaupt das Recht hat, mich kritisch zu hinterfragen
  • mit wem ich befreundet sein möchte
  • aber auch umgekehrt: wer mit mir befreundet sein darf
  • wen ich lieben möchte
  • und wer mich lieben darf
  • ....
Diese Liste könnte ich jetzt unendlich weiterführen. Wichtig war in den letzten Tagen für mich, dass ich nicht ohnmächtig sein muss. Ich kann Dinge beeinflussen und bestimmen! In diesem Sinne... Back to life, back to reality!

Ich bin dann schon einmal in den Vorzyklus gestartet und wurde die ersten drei Tage mit Migräne gesegnet. Aber das scheint jetzt doch wieder vorbei zu sein. Parallel nehme ich noch ein kleines Potpourrie von Vitaminen (Orthomol natal, Omega 3 Fettsäuren, Eisen, Folsäure). Ich hatte in einem anderen Beitrag geschrieben, dass es wohl positive Zusammenhänge zwischen der Einnahme von Vitaminen und der Schwangerschaftsrate gibt. Hier die entsprechenden Erkenntnisse aus dem Netz: 



Alles Liebe euch!










Mittwoch, 2. Dezember 2015

Wenn einen die Vergangenheit einholt

Achtung: jetzt folgt ganz viel Seelenmüll. Wer derzeit keine negativen Gedanken lesen möchte, verlässt am besten direkt wieder diesen Blog und schaut wieder in sonnigeren Zeiten vorbei (die es ganz bestimmt und bald wieder geben wird).

Ich habe keine gute Kindheit gehabt. Eine psychisch kranke Mutter (manisch-depressiv), die einen psychisch kranken Vater hatte (schizophren) und damit bis heute nicht klar kommt.
Ein Vater, dessen Mutter bereits in der Kindheit starb und der damit nie zurecht gekommen ist. Ein Vater, der mit der Krankheit meiner Mutter nicht klar kommt, aber trotzdem bei ihr bleibt - bis heute.

Weder meine Schwester noch ich waren geplant. Sie war ein Unfall, und ich hätte - laut Frauenarzt meiner Mutter - eigentlich gar nicht mehr gezeugt werden können. So wirklich gewollt waren wir nie. Meine Mutter war nie in der Lage mich wirklich zu lieben. Hat mich nie in den Arm nehmen können. Mir nie gesagt, dass sie mich liebt, an mich glaubt, mir Dinge zutraut. Mein Vater stand ständig in Konkurrenz zu mir, hat mich immer schlecht gemacht, weil er alles besser konnte. Ich war nie schlank - im Gegensatz zu meinen Eltern und meiner Schwester. Aber ich war auch niemals dick. Und ganz bestimmt nicht pummelig. Wenn ich heute Fotos von mir als Kind sehe, sehe ich ein schlankes und sehr hübsches Mädchen. Maximal 2-3 Kilo zu viel - aber definitiv nicht der Rede wert. Meine Familie sah das aber anders, auch meine Großeltern und meine Tanten und Onkeln. Ich sei dick, sagten sie mir immer. Ein hübsches Gesicht hätte ich, aber zu viel auf den Rippen. Ich habe mich immer geschämt. Die Sommerurlaube am Strand waren das Schlimmste überhaupt, weil ich da ja im Badeanzug herumlaufen musste. Begutachtet von den kritischen Blicken meiner Familie. Ich habe meinen Körper sehr gehasst, so sehr gehasst. Dann kam noch hinzu, dass ich nicht so gut in der Schule war. Ich war einfach durch und durch ein schwieriges Kind - das schwarze Schaf in der Familie, um das sich meine Eltern immer Sorgen machen mussten. Ich war kein selbstbewusstes Mädchen - alles andere als das. Freunde durfte ich nie zu mir einladen, weil meine Mutter Angst hatte, dass meine Freunde darüber lästern könnten wie wir leben. Auch Kindergeburtstage durfte ich nicht feiern. Und dennoch - ich hatte immer sehr viele Freunde und war beliebt. Trotz alledem. So ein mieser Mensch kann ich nicht gewesen sein.

Ich habe das viele Jahre nicht verstanden. Was das alles mit mir macht. Dass das alles eine Auswirkung hat. Als ich 14 Jahre alt war, habe ich dann aufgehört zu essen. Es fühlte sich so gut an endlich schlank zu sein und unter 40 Kilo zu wiegen - in kürzester Zeit ganze 27 Kilo weniger. Buoh - da hatte ich wirklich was geschafft! Ich hatte endlich was, was ich kontrollieren konnte und was ich wirklich gut konnte. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich richtig gut fühlte. Frei. Auch ich konnte was. Ich war nicht in ganzer Linie ein Versager. Das Hochgefühl wechselte immer häufiger in depressive Phasen. Ich wünschte mir immer öfters mich in Luft aufzulösen. Nicht mehr da zu sein. Und ich hatte das ganz alleine in der Hand. Ich alleine konnte entscheiden, wann ich diesem Leben ein Ende setzen konnte. Aber da war immer wieder ein kleiner Funke Lebenswille. Ich weiß nicht was mich am Leben gehalten hat, aber da gab es damals was.

Meine Eltern sperrten mich immer öfters mit einem Teller voller Essen in meinem Zimmer ein und wollten mich erst herauslassen, wenn ich gegessen hätte. Aber diesen Gefallen tat ich ihnen nicht. Ich habe in meinem Zimmer geschrien, dass ich selber entscheide wann ich esse. Dass ich selber am besten wüsste, ob ich Hunger habe. Und ich hatte einfach keinen Hunger - ganz im Gegenteil. Ich war pappsatt. Ich war übersättigt. 

Sie redeten nicht mit mir darüber, nahmen mich nicht in den Arm, sagten mir nicht, dass sie mich lieben. Nein, sie sperrten mich stattdessen ein. Meine Mutter nahm meine Krankheit jedoch zum Anlass sich selbst mal wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Wie schwer sie es doch mit einer magersüchtigen Tochter hat. Sie erzählte das auf Familienfeiern, in ihrem Freundeskreis während ich daneben saß. Aber mit mir redete sie nicht. Mit mir redete niemand.

Ich hätte damals eine Therapie machen müssen. Aber meine Eltern waren nicht in der Lage sich darum zu kümmern oder kamen nicht auf die Idee - ich weiß es nicht. Ich kam dann irgendwann selber wieder oberflächlich da raus - ca. 2 Jahre später. Ich habe angefangen viele Bücher über diese Krankheit zu lesen. Erkannte mich selbst wieder und meinte, dass ich mich selber therapieren könnte. Zumindest wog ich wieder knapp 50 Kilo. Für alle Außenstehenden war ich scheinbar wieder gesund. Aber eigentlich dauerte es 14 Jahre bis ich wieder ganz normal und ohne schlechtes Gewissen essen konnte und ich meinen Körper wieder einigermaßen akzeptierte. Ganz weg ist das alte Gedankengut nicht. Aber ich habe es im Griff. Nichts desto trotz ist "Essen" weiterhin mein Seelenventil.

Dieses Paket namens "nicht verarbeitete Lebensgeschichte" verfolgt mich bis heute und macht mir das Leben heute schwerer denn je. Es ist gerade so präsent und es kommt immer wieder hoch. Und ich weiß, dass die fehlende Therapie dieses Lebensabschnitts mir derzeit das Leben zur Hölle macht. Mich gerade unglücklich macht, weil ich gerade keine Handlungsoptionen sehe. 

Die beiden Eileiterschwangerschaften und der aktuelle Kinderwunschweg führen mich an meine Belastungsgrenzen. Diese Dinge haben etwas in mir ausgelöst, irgendwelche alten Wunden aufgerissen. Ich bin seit diesen Ereignissen nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor. Mir fehlt die Kraft mich mit Dingen auseinanderzusetzen, mich mit schwierigen Menschen auseinanderzusetzen. Ich würde mich am liebsten zwei Monate lang in meiner Wohnung verbarrikadieren und nicht mehr rausgehen. Einfach nur lesen, Tee trinken, gute Dinge essen, mit meinem Lieblingsmann und meinem Lieblingshund kuscheln und den Rest der Welt für diesen Zeitraum ausblenden. Ich bilde mir ein, dass ich dadurch wieder genug Energie tanken werde, um danach wieder stark genug für die Welt zu sein. Dass ich all den Mist auf dieser Welt wieder mit einem Lächeln entgegen treten kann. 

Wo ist diese verdammte Leichtigkeit geblieben, die ich so lange in mir hatte? Wo ist sie hin und wo und wann habe ich sie verdammt noch mal verloren? Haben meine beiden Sternenkinder sie direkt mit zu den Sternen genommen? Ich möchte sie wieder zurück haben, diese Leichtigkeit, diese Unbeschwertheit. Aber wie schaffe ich das? Ich habe nach langer Zeit überhaupt keine Idee für eine Lösung. Ich stecke gerade in einer Sackgasse, in einem dunklen Raum ohne Türen und Lichtschalter. Wie komme ich da wieder raus? Ich weiß es nicht. 

Meine Blog ist meine Therapie - es tut mir leid, dass ich euch mit meinem Seelenmüll konfrontiere. Aber das muss einfach raus. Ich melde mich garantiert mit positiveren Gedanken wieder zurück. Versprochen!