Sonntag, 6. Juli 2014

Wenn man sich vom Schicksal verraten fühlt - oder: wenn man wütend auf das Glück der anderen ist

Ihr Lieben,

ich erkenne mich momentan selbst nicht wieder. Heute "mussten" wir anstandshalber den neuen Erdenbürger einer unserer besten Freunde besuchen.

Schon die ganzen letzten Tage hatte ich überhaupt keine Lust dazu, heute meine Freunde besuchen zu gehen. Mein ganzer Körper hat sich dagegen gesträubt und es wundert mich, dass er heute keine vermeintlichen Krankheitssymptome gezeigt hat. Früher hatte ich vor schweren Prüfungen aus lauter Prüfungsangst tatsächlich immer richtige Krankheitssymptome: Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufprobleme, Fieber etc. Aber diesmal hat er mich im Stich gelassen! Wollte mein Körper mir damit signalisieren, dass ich gefälligst sehr wohl in der Lage bin, den kleinen Erdenbürger willkommen zu heißen?

Gestern mussten mein Lieblingsmann und ich dann noch in die Stadt und dem neuen Erdenbürger ein Willkommensgeschenk besorgen. Wir haben uns für Anziehsachen entschieden. Eine völlig skurille Situation: ich, ganz allein, in der Babyabteilung eines großen Kaufhauses - nur 3,5 Wochen nachdem ich mein zweites Kind verloren habe. Zuerst fand ich die kleinen Anziehsachen einfach nur süß und war in einem kaufrauschähnlichen Zustand und habe links und rechts um mich herum nichts mehr wahrgenommen. Aber dann plötzlich, saß eine Frau direkt neben den Neugeborenen-Klamotten und stillte ihr Neugeborenes. Und klack: von einem Moment auf den anderen wurde mir ganz mulmig, heiß und ich hatte das Gefühl, dass ich keine Luft mehr bekommen würde. Um direkt wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen, habe ich mit meinem Lieblingsmann noch direkt einen kleinen Streit über was ganz anderes angefangen. So machen wir Frauen das halt. Wenn uns eine Laus über die Leber läuft, mäkeln wir erst man an der besseren Hälfte herum. Nun denn, am Ende haben wir dann doch - wie ich finde - schöne Sachen gefunden.

Und auf der Rückfahrt nach Hause habe ich mir fest vorgenommen noch das Kissen mit dem Namen des neuen Erdenbürgers zu nähen. Ratet mal, was ich bis eben noch nicht mal ansatzweise angefangen habe?

Wir waren heute für ca. 14 Uhr mit den Freunden verabredet. Zwei Stunden vor dem Besuche habe ich mich die ganze Zeit versucht abzulenken und habe es - dank plötzlicher unbändiger Lust ein ausgedehntes Mittagessen zu fabrizieren - geschafft, eine Stunde später dort anzutasten.

Ganz ehrlich? Ich konnte den Freunden nicht mit vollem Herzen gratulieren. Und beim Anblick des kleinen und wirklich süßen Erdenbürgers, ging mir ein richtig langer und tiefer Stich durch das Herz. Ich war nur einen Mikromilimeter davon entfernt, direkt loszuheulen. Die Freunde legten mir den kleinen Erdenbürger direkt in meine Arme - ich weiß bis jetzt noch nicht, ob ich das jetzt gut fand oder nicht. Ob es eine gute Idee war oder die Sache noch verschlimmert habe. Die beiden frisch gebackenen Eltern waren überglücklich über ihren neuen Erdenbürger, erzählten von der Geburt und wie sich das alles angefühlt hat.
Ich wollte es ihnen auch nicht verbieten. Das Leben muss schließlich weiter gehen und sie haben ein Recht darauf glücklich zu sein. Deren Hormonhaushalt quirlt gerade über vor Glück - die beiden wissen vermutlich gerade gar nicht wohin mit ihren Gefühlen. Sie sind so glücklich und so verliebt in ihren neuen Erdenbürger. Ich will auch nicht, dass sie sich damit verstecken. Wir sind schließlich Freunde - wir haben alle vier das Recht unsere Gefühle mitzuteilen.
Ich empfinde es auch nicht als ungerecht, dass die beiden etwas haben, was ich gerne hätte. Auch die beiden hatte mal ein schweres Schicksal ereilt. Und sie dürfen sich glücklich schätzen, dass es das Schicksal nun gut mit ihnen meint.

Aber mir hat es so unglaublich weh getan. Als mein Lieblingsmann und ich wieder draußen waren, habe ich sofort angefangen zu heulen. Ich war so stolz auf mich, dass ich so tapfer war. Aber ich will es in den nächsten drei oder vier Wochen nicht noch einmal wiederholen. Auch mein Lieblingsmann war ganz tapfer. Ich habe ihm das Kind irgendwann einfach in die Arme gedrückt, weil ich fest davon ausgegangen bin, dass er es gerne im Arm haben wollte. Aber danach hat er mir mitgeteilt, dass er es eigentlich nicht in den Arm nehmen konnte. Und ich habe das gar nicht gemerkt. Wenn selbst wir beide untereinander die Signale nicht mehr verstehen, wie sollen unsere Freunde im Hormontaumel dann unsere Signale verstehen können?

Heute bin ich ein wenig in Panik geraten: was ist, wenn ich ein Baby selbst mit künstlicher Befruchtung niemals in den Armen halten werde? Was ist, wenn ich ein oder mehrere Kinder niemals zum Schulabschlussball begleiten werde? Was ist, wenn ich einem Kind niemals eine Gute Nacht-Geschichte vorlesen kann? Ich habe angst davor, mich mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen. Aber dieser Gedanke ist Teil einer Realität geworden, die ich nie für möglich gehalten hätte. Ich habe mein ganzes Leben immer darauf aufgebaut, irgendwann einmal Kinder zu haben. Ich habe deshalb so spät mit dem Kinderwunsch angefangen, weil ich vorher eine solide Basis schaffen wollte (Studium, unbefristeter Job, gutes Einkommen). Auf was habe ich eigentlich die ganze Zeit hingearbeitet? Wäre es besser gewesen, wenn ich bereits während des Studiums schwanger geworden wäre? Wäre das alles dann nicht passiert, weil sich die Eileiter erst viel später verengt haben oder die Härchen erst viel später ihre Beweglichkeit eingebüßt haben (man weiß leider nicht, warum ich zwei Eileiterschwangerschaften auf beiden Seite hatte. Eine Verklebung oder Verwachsung scheint aber definitiv nicht vorzuliegen).

Ich fühle mich vom Schicksal so richtig gefi**t! Entschuldigt die Ausdrucksweise. Aber ich bin momentan so voller Wut und die muss leider irgendwo raus.

Nun denn, die Hoffnung darf ich trotzdem nicht aufgeben. Denn so wie auch heute, kommt nach Regen bekanntlich immer Sonnenschein.

In diesem Sinne - fühlt euch gedrückt!

Lisa




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